Eine innovative Entwicklung aus dem ZWT kommt jetzt vielen Phobie-Patienten zugute, wie Radio Ö1 und „Der Grazer“ berichteten: Erstmals in einer Grazer Praxis wendet die Psychiaterin Dr. Gerlinde Klein Virtual Reality als Teil einer Verhaltenstherapie an, um Spinnen- und andere Ängste zu behandeln. Das Startup EXPIMED, bis vor kurzem im ZWT angesiedelt, entwarf das VR-Tool auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse. EXPIMED ist somit bereits das zweite Startup, dessen Erfolgsgeschichte im Life Science Inkubator des ZWT begann.
Mit ihren behaarten, flinken Beinen kommt die Spinne in Windeseile immer näher. Menschen, die an einer Spinnenphobie leiden, haben in solch einer Situation Todesangst. „Bis zu 15 Prozent der Bevölkerung leiden an einer spezifischen Phobie, zu denen auch die Spinnenphobie gehört“, weiß der Grazer Mediziner und Startup-Unternehmer Dr. Thomas Klein. Zu den häufigsten Phobien gehören unter anderem Höhenangst, Sprechangst und soziale Phobien.
S3-Leitlinie empfiehlt Expositionstherapie
„Für eine wirksame Bekämpfung braucht es eine Konfrontation mit der angstauslösenden Situation. Diese sogenannte Exposition ist unter realen Bedingungen aber aufwendig – so müsste der Therapeut echte Spinnen zum Einsatz bringen oder den Patienten wirklich auf hohe Türme führen. Das wird nur selten gemacht“, so Klein. Die Lösung: virtuelle Exposition. Diese wird bereits seit 2014 in der S3-Leitlinie, der wichtigsten Therapievorgabe für Ärzte und Psychotherapeuten, zur Behandlung von Angststörungen empfohlen.1 Studien wie die Metaanalyse von Opris et al (2012) zeigen, dass die virtuelle Exposition gleich gut wirkt wie eine reale2 „Obwohl die virtuelle Exposition bereits länger als Hilfsmittel im Rahmen einer Psychotherapie offiziell empfohlen wird, wurde sie bislang primär an Universitäten angewendet – hauptsächlich aufgrund der technischen Hürden“, so Klein.
Erstmals in Grazer Ordination
Diese „Hürde“ wollte Klein überwinden – und es ist ihm gelungen. Mit seinem Startup hat er im Zentrum für Wissens- und Technologietransfer in der Medizin (ZWT) 2015 begonnen, die virtuellen Szenen unter der Marke EXPIMED® zu entwickeln. Nun wird die Anwendung – erstmals in einer Grazer Ordination – von der verhaltenstherapeutisch ausgebildeten Psychiaterin Dr. Gerlinde Klein, Gattin von Dr. Thomas Klein, im Rahmen der kognitiven Verhaltenstherapie eingesetzt.
Radio Ö1 hat dazu in der Sendung Digital Leben am 8. Jänner 2018, die Zeitung „Der Grazer“ am 18. Dezember 2017 berichtet:
Die Innovation liegt in der leitlinienkonformen Software, die Hardware besteht aus bereits etablierten Komponenten wie einem Hochleistungs-PC und einer High-End-VR-Brille.
Insgesamt gibt es nur sehr wenige Stellen im deutschsprachigen Raum, die im Rahmen der Verhaltenstherapie VR einsetzen. „In anderen Ländern, vor allem in den USA und Kanada, ist man da schon ein Stück weiter“, so Thomas Klein. „Dort sind Manuale verfügbar, welche die Behandlungsschritte genau vorgeben.“
Kooperation zw. Wirtschaft und Wissenschaft
Begonnen hat alles im Jahre 2015, als das Projekt unter die 10 Finalisten des Ideenwettbewerbs des Science Park Graz gewählt wurde. Der Kontakt zum Science Park entstand über das ZWT, in dem EXPIMED zu diesem Zeitpunkt angesiedelt war (Science Park ist Kooperationspartner des ZWT). Ein einfacher Prototyp der Software wurde daraufhin von der aws (Austria Wirtschaftsservice) gefördert.
So etwa gab es Gespräche mit Univ.-Prof. Dr. phil. Josef Wilhelm Egger von der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie, die Klein sehr bestärkt haben, dass die VR ein Zukunftsthema in der kognitiven Verhaltenstherapie ist. Es kam auch zu einer wissenschaftlichen Veröffentlichung über das Projekt in der Fachzeitschrift „Psychologische Medizin.“3
ZWT als Accelerator
Die positive Entwicklung von EXPIMED machte einen größeren Standort erforderlich, weshalb EXPIMED das ZWT mittlerweile verlassen und die VR-Anlage in der Körösistraße 29c, in 8010 Graz installiert hat – in der fachärztlichen Praxis von Dr. Gerlinde Klein.
EXPIMED ist bereits das 2. Unternehmen, das dem Life Science Inkubator des ZWT „entwachsen“ ist. Das Startup NoTube war das erste. Dieses entwickelt weltweit eingesetzte Online-Therapien für Kleinkinder mit Essstörungen und betreibt nun einen eigenen EAT Campus in der Leonhardstraße.
Wie funktioniert die Therapie von Phobien mit VR?
Psychiaterin Dr. Gerlinde Klein über die innovative Form der Therapieunterstützung: „Der Patient taucht über die VR-Brille völlig in die simulierte Umgebung ein.“
„Wichtigste Voraussetzung ist dabei die Begleitung durch einen psychotherapeutisch ausgebildeten Spezialisten. Der Patient braucht immer professionelle Betreuung, die mit einer ärztlichen Diagnosestellung beginnt. Der Ablauf der VR-Sitzungen basiert auf wissenschaftlichen Vorgaben und Manualen, welche die aktuelle Studienlage reflektieren“, so Gerlinde Klein. Der Einsatz der VR-Brille steht nie alleine, sondern findet immer im Rahmen eines umfassenden Konzeptes der klassischen Verhaltenstherapie statt. „Ganz wichtig sind intensive Vor- und Nachgespräche bei jeder Sitzung sowie eine umfassende Erstuntersuchung des Patienten. Nur so kann die volle Wirkung erzielt werden.“
Wirkung auf emotionaler Ebene
Die vielleicht größte Stärke der VR-Therapie ist es, dass Verhaltensweisen nicht nur auf rationaler, sondern auch auf emotionaler Ebene behandelt werden können. Erst durch das emotionale Erleben von positiven Ergebnissen einer Verhaltensänderung – zum Beispiel das Zugehen auf ein virtuelles Vortragspublikum bei Sprechangst – verankert sich das neue Verhalten dauerhaft im Gehirn. „Hier kann die VR-Therapie, weil ein scheinbar echtes Erleben möglich ist, einen emotionalen Anker setzen, der mit einer Annäherung auf Verstandesebene nur schwer zu erreichen wäre“, so Gerlinde Klein.
Technologie auch für Stressprävention einsetzbar
Mögliche Anwendungen gehen, so zeigen Studien, über Phobien hinaus. Die 3D-Welten sind auch geeignet, um einfach mal loslassen zu können. Dazu begibt sich der Patient in eine angenehme Umgebung, wie etwa einen ruhigen Herbstwald.
- Gerlinde Klein: „Stress ist einer der Hauptfaktoren für Burnout. In der virtuellen Welt ist ein Abschalten leichter möglich, weil man in kürzester Zeit dem Alltag entfliehen kann.“
Nähere Infos:
Interessierte Patienten können sich unter termin@psymed-graz.at oder +43 677 622 062 83 näher über die Details der Behandlung informieren.
1) Vgl. S3- Leitlinie. Behandlung von Angststörungen. AWMF Nr. 051 – 028
2) Vgl. Opris, D., Pintea, S., Garcia-Palacios, A., Botella, C., Szamoskozi, S., & David, D. (2012). Virtual reality exposure th erapy in anxiety disorders: A quantitative meta-analysis. Depression and Anxiety, 29(2), 85-93.
3) Vgl. Klein T et al. Expositionstherapie im virtuellen Raum – Projekt Virtaphobex. Psychologische Medizin 2016/2; S. 66-68
Fotocredit: ZWT/Lunghammer