Prof. Dr. Dr. Jens Habermann ist seit September 2020 Generaldirektor von BBMRI-ERIC im ZWT (Credit: BBMRI-ERIC).
Wie lässt sich das „Patient Empowerment“ im Biobanking durch Digitalisierung verbessern? Mit welchen Erkrankungen und Themen beschäftigt sich BBMRI-ERIC 2021 schwerpunktmäßig? Und welche Rolle spielen Biobanken in der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie? Antworten gibt Prof. Jens Habermann, seit September 2020 Generaldirektor von BBMRI-ERIC, im Interview.
Prof. Dr. Dr. Jens Habermann verbindet klinische Routine, Biobanking und Krebsforschung. Vor seiner Tätigkeit als Generaldirektor bei BBMRI-ERIC war er Präsident der European, Middle Eastern & African Society for Biopreservation and Biobanking, kurz ESBB. Darüber hinaus leitete er das Interdisziplinäre Zentrum für Biobanking sowie die Sektion für Translationale Chirurgische Onkologie und Biobanking in Lübeck und war als Facharzt für Humangenetik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein tätig.
Was sind die zentralen Schwerpunkte in der Arbeit von BBMRI-ERIC im Jahr 2021? Was ist Ihnen dabei in Ihrer neuen Funktion als Director General besonders wichtig?
Jens Habermann: Meine Vorgänger und das Team hier in Graz haben bereits herausragende Arbeit geleistet, und darauf lässt sich sehr gut aufbauen. Für dieses Jahr haben wir definiert, welchen Erkrankungsbereichen wir uns primär widmen wollen. Das sind einerseits Seltene Erkrankungen, weil das ein Paradebeispiel für den Mehrwert eines internationalen Biobanken-Netzwerkes ist. Für Seltene Erkrankungen haben einzelne Biobanken ja nur sehr wenige oder gar keine Proben, da ist die transnationale Vernetzung von großem Vorteil. Aus aktuellem Anlass wird natürlich auch Covid-19 eine wichtige Rolle spielen und unsere dritte Fokus-Erkrankung ist Krebs. Unsere Services fokussieren dabei weiterhin auf
- die ethischen, rechtlichen und sozialen Belange (ELSI – ethical, legal and societal issues)
- Qualitätsmanagement,
- Digitalisierung/IT,
- Forschung & Entwicklung,
- Aus- und Weiterbildung sowie
- öffentliche Angelegenheiten einschließlich der Kommunikation mit den Stakeholdern.
Können Sie uns Ihre Service-Bereiche noch etwas näher erläutern?
Jens Habermann: Im Bereich ELSI ist etwa die Erstellung eines „Code of Conduct for Health Research“ gemäß der Datenschutzgrundverordnung eine Priorität. Es geht hier u. a. darum, ein europaweit einheitliches Verständnis für die Interpretation der für Biobanken relevanten gesetzlichen Vorgaben beim Datenaustausch zu generieren. Gerade beim Datenschutz kommt es ja durchaus vor, dass Unsicherheit in der Interpretation und Anwendung der Europäischen Datenschutzgrundverordnung besteht.
Im Qualitätsmanagement werden wir auch 2021 Webinare und Trainings anbieten, um die Standardisierung im Biobanking voranzutreiben. Hier geht es in Zukunft noch stärker in Richtung eines formalisierten Angebots etwa im Rahmen einer QM-Akademie, die berufsbegleitende Weiterbildungen ermöglicht.
Und im Bereich der Kommunikation gilt es auch im neuen Jahr, einen möglichst intensiven Austausch zwischen Patienten, Industrie und Forschern bzw. Medizinern zu fördern.
Mir persönlich ist wichtig, dass unsere unterschiedlichen Services und Entwicklungen stärker als Gesamtportfolio wahrgenommen werden. Erst die Kombination aus all unseren Kompetenzen ermöglicht eine optimierte Präzisionsmedizin. Das ist auch im Kontext von European Health Data Space bzw. European Open Science Cloud wichtig. Hier kann eine pan-Europäische Forschungsinfrastruktur wie BBMRI-ERIC sehr viel beitragen – auch um die Covid-19-Pandemie besser bewältigen zu können, und lokale Datenbanken global sichtbar machen.
BBMRI-ERIC hat für die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ja bereits wichtige Beiträge geleistet …
Jens Habermann: Wir haben immens viele Anfragen zu Proben und Daten im Zusammenhang mit Covid-19 bekommen. Die Nachfrage war viel größer als die Anzahl der verfügbaren Proben. Und da stellt sich natürlich auch die Frage, wie man mit solchen Engpässen umgeht. Wir haben das so adressiert, dass wir zuerst erfasst haben, wer relevante Daten und Proben erfasst und zur Verfügung stellen könnte. Deshalb gibt es ja unser BBMRI Directory, über das mehr als 100 Millionen Probensätze aus über 600 Biobanken durchsucht werden können. Dieses war ursprünglich nur für Biobanken aus unseren Mitgliedsstaaten zugänglich. Im Zuge der Pandemie haben wir das Directory aber für alle Biobanken weltweit geöffnet, die Proben oder Daten zu Covid-19 zur Verfügung stellen wollen und können. Hierdurch sind auch zahlreiche Kooperationen entstanden.
Was die Pandemie auch gezeigt hat, ist eine große Heterogenität. In manchen Ländern durften Biobanken aufgrund der Beschränkungen gar nicht arbeiten, in anderen wurden sie aktiv eingebunden. Etwa wenn es darum ging, mit sensiblen Proben umzugehen – Biobanking-Experten haben damit ja sehr viel Erfahrung. Oder auch was die Probenentnahme im Krankenhaus angeht, für die ja rechtliche Vorgaben bzw. Einwilligungen der Patienten erforderlich sind. Die Einbindung der Patienten ist ein besonders wichtiges Thema, das wir noch weiter forcieren werden, unter anderem über eine geplante föderierte Plattform.
Wie konkret kann man sich das bessere Einbinden der Patienten bzw. die geplante föderierte Plattform vorstellen?
Jens Habermann: Damit haben wir uns intensiv bei unserem internationalen „IT Symposium on Biobank Management & Federated Search“ im Jänner 2021 beschäftigt. Ziel ist es, eine föderierte Plattform aufzubauen, über die Proben und Daten auf individueller Basis noch besser recherchiert und damit auch für den medizinischen Fortschritt genutzt werden können. Die Proben und Daten bleiben dabei allerdings immer in der jeweiligen Institution. Der Zugriff erfolgt über gesicherte IT-Systeme von außen, ohne dass die Daten kopiert oder transferiert werden müssen oder können. Und ganz wichtig: Die Plattform soll die Patientenbeteiligung, den Dialog und die Transparenz verbessern. Ein Beispiel: Die Patienten willigen nicht „nur“ bei der Probenentnahme einmalig einer weiteren Verwendung ein, sondern können auch danach verfolgen, wofür ihre Proben verwendet werden. All das ist natürlich nicht über handschriftliche Formulare oder Ähnliches möglich, dazu braucht es ein entsprechend sicheres IT-System. Im nächsten Schritt wäre dann noch möglich, Daten zum Lebensstil zu integrieren, da diese für eine personalisierte Medizin eine entscheidende Rolle spielen. Auch hier ist es aber natürlich unerlässlich, dass die Patienten aktiv eingebunden werden. Es braucht den laufenden Austausch.
Für diesen Austausch bietet die Medical Science City Graz ein sehr gutes Umfeld. Hatten Sie bereits Gelegenheit, dieses kennen zu lernen?
Jens Habermann: Durch die Covid-19-Einschränkungen waren bislang leider erst wenige persönliche Treffen möglich. Mit der Biobank der Med Uni Graz und BBMRI.at hier im Haus besteht aber schon ein enger Austausch, ebenso mit CBmed. Ich war auch als Speaker bei der TEDx Med Uni Graz eingeladen, wo ich Kollegen getroffen habe, mit denen ich bereits früher einmal zusammengearbeitet habe. Natürlich freue ich mich bereits darauf, wenn Veranstaltungen und Treffen wieder in gewohntem Maße möglich sind, um den Austausch zu forcieren. Die Bündelung zwischen Klinik, Forschung und Unternehmen hier in Graz ist ja dafür ein exzellentes Umfeld – und damit auch als Standort für das BBMRI-ERIC-Headquarter.
Nähere Informationen zum Werdegang von Prof. Dr. Dr. Jens Habermann …